Jämtland ohne Schnee?

Eher etwas kürzer, mal ein Ruhetag, nicht immer im Zelt übernachten: so etwa lauteten die „Bedingungen“, die Johanna an eine erneute Beteiligung an einer Ski- und Zelttour durch das schwedische Fjäll geknüpft hatte (Johanna Selbert, Meine erste Skitour im Fjäll). Zumindest auf die beiden letzteren Wünsche wollten wir gerne eingehen, um ihr eine ganz besondere Auszeit nach einem anstrengenden Wahlkampf als Bundestagskandidatin zu ermöglichen.

Doch wieder einmal haben wir erfahren, dass man noch so viel planen kann, letztendlich aber die Natur über den konkreten Verlauf einer Tour entscheidet. Um es vorwegzunehmen: Noch nie in den letzten 15 Jahren hatten wir so schlechte Schnee- und Wetterbedingungen wie dieses Mal. Schon Wochen vor unserem Start hat es im Februar(!) in Jämtland und im Trøndelag geregnet. Der Schnee schmolz. Dann gefror die verbliebene dünne Schneedecke. Mancherorts bildeten sich sogar große Blankeisflächen.

Aufgrund dieser widrigen Bedingungen mussten wir unseren Plan aufgeben, im norwegischen Meråker zu starten. Stattdessen verlegten wir den Beginn unserer Tour wieder einmal in den schwedischen Grenzort Storlien, wo wir gemeinsam mit einer Gruppe schwedischer Fans ankamen, die auf ihrem Weg zur nordischen Ski-WM nach Trondheim waren.

So weit wie möglich umgingen wir die kleinen Seen, die südwestlich von Storlien an der Strecke liegen, und suchten unseren Weg von Schneeinsel zu Schneeinsel. Nicht immer ließ es sich vermeiden, über Heidekrautflächen zu ziehen. Zu unserer Freude zeigte sich jetzt sogar die Sonne. Ein entgegenkommendes Pärchen mit Langlaufski, das nach Blåhammeren wollte, war umgekehrt und berichtete von schlechten Schneeverhältnissen.

Nach Überquerung des Enan per Brücke und einem Gegenanstieg stellten wir unsere Zelte am gleichen Platz auf, wie zwei Jahre zuvor. Das Thermometer zeigte nur wenige Minusgrade, so dass wir eine gemütliche Nacht verbrachten.

Tatsächlich war der Anstieg zur Fjällstation Blåhammeren- immerhin auf einer Höhe von fast 1100 m – ziemlich unangenehm. Felix und Johanna wählten gleich die Variante zu Fuß. Nach einer Rast in der neuen Schutzhütte am Gräslidfjället setzten wir alle unseren Weg bis zur Fjällstation zu Fuß fort.

Nach einer ausgedehnten Mittagspause in der Hütte erwartete uns eine lange, leicht abfallende Wegstrecke mit passablen Schneeverhältnissen und spannenden Lichtspielen. Unten am Fluss Enan angekommen, überquerten wir nicht nur diesen, sondern auch die Grenze nach Norwegen. Wieder folgte eine „warme“ Nacht mit entsprechend viel Kondenswasser.

Kurz vor der Hütte Storeriksvollen bogen wir anderntags scharf nach links ab. Anstelle der sonst üblichen Querung über das Flusseis mussten wir mühsam die Brücke über die Mündung des Djupholma in den Esandsjøen nutzen. Danach arbeiteten wir uns bis zur Schutzhütte und dem gleichnamigen Pass Fiskåhøgda hoch. Hier überschritten wir wieder die Grenze nach Schweden. Bis hierher begleiteten uns den ganzen Tag bedeckter Himmel und diffuses Licht. Kaum hatten wir den Pass überschritten, zeigten sich im Westen immer mehr gelb-orange Flecken am Himmel, die einen starken Kontrast zu den schwarz-grauen Wolken bildeten. Mehr und mehr setzte sich die Abendsonne durch und bereitete uns einen grandiosen Sonnenuntergang. Die Hochebene am Fiskårtjärnen war so schneearm, dass wir ein Stück zurückmussten, um einen geeigneten Platz für unsere Zelte zu finden.

Bereits während der Nacht kam ein Sturm auf, der am kommenden Morgen so stark war, dass es fraglich war, ob wir bei diesen Verhältnissen überhaupt die Zelte abbauen und weitergehen können. Obwohl die Sturmböen heftig an Menschen und Material zerrten, sprachen zwei Gründe für den Aufbruch: Glücklicherweise führte unser Weiterweg überwiegend entgegen der Windrichtung und die Strecke bis zur Fjällstation Sylarna betrug nur sechs Kilometer. Also stemmten wir uns den Elementen entgegen. Immerhin erwarteten uns eine heiße Dusche, ein Bett und – wie sich später herausstellen sollte – Rentiergeschnetzeltes mit Dosenbier. Die Vorzüge eines Trockenraumes, der seinen Namen verdient, nahmen wir ebenso gerne in Anspruch.

Auch die folgenden drei Tage hatten wir mit gleichbleibend schlechten Verhältnissen zu kämpfen. Immer wieder starke Sturmböen, teilweise auch mit Schneefall verbunden. Manchmal reichte die Sicht nicht bis zum nächsten Markierungspfosten. Schnell verliert man nicht nur die Orientierung, sondern auch das Gleichgewicht, wenn um einen herum alles weiß ist und man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Whiteout wird dieses Phänomen zu Recht bezeichnet.

Dank der guten, dichten Markierung der schwedischen Winterwege hatten wir aber nie ernsthafte Probleme, den richtigen Weg zu finden. So gelangten wir zur Fjällstation Helags und von dort anderntags zur Vålåstugorna. Etwa zweieinhalb Kilometer vor Erreichen dieser Hütte erlebte ich jedoch einen Schreckmoment: Nach einem Sturz vornüber hatte ich schon das Gefühl, irgendetwas stimmt mit meiner Bindung nicht. Und prompt stürzte ich gleich wieder. Da entdeckte ich, dass die Hebelkräfte, die beim Sturz wirkten, den Stift, der in die Bindung einrastet, aus meiner Schuhsohle herausgezogen hatten. So lernte ich auch, dass dieser „Stift“ eigentlich ein Metallbügel in U-Form ist. An ein Weitergehen per Ski war nicht zu denken. So stapfte ich die letzte Wegstrecke zu Fuß zur Hütte. Je nach Schneelage sank ich dabei immer wieder bis zum Knie ein und erfuhr so hautnah, wie segensreich doch die Erfindung des Skis ist. Zu meinem Glück hatte der Hüttenwart eine gut ausgestattete Werkstatt und konnte mit einem Hammer und viel Gewalt den Bügel wieder zurück in meine Schuhsohle treiben.

Mit großer Vorsicht bewältigte ich anderntags unsere Schlussetappe nach Vålådalen. Während uns auf der Hochfläche immer wieder heftige Sturmböen packten, bewegten wir uns die letzten Kilometer eher durch eine Matschlandschaft, wie wir es auf dieser, schon mehrfach begangenen Strecke noch nie erlebt haben.

Sicher war unsere diesjährige Tour kein Highlight in unserer Tourensammlung. Fehlender Schnee, Blankeisflächen, offene Flussläufe, vereister Schnee, Sturm bis zur Orkangrenze, minimale Sichtweite, Schneematsch: all diese widrigen Bedingungen trafen auch noch auf technische Probleme wie einen verbogenen Stock und einen herausstehenden Bindungsbügel. Aber, gerade wenn man solch herausfordernde Bedingungen und Situationen gemeinsam gut meistert und am Ende alles gut geht, ist auch eine solche Tour ein bereicherndes Erlebnis und eine gute Erfahrung.

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