Alles hygge? Radtour in Dänemark

Abenteuer Anreise

Wer Abenteuer liebt und gerne improvisiert, der ist bei der Deutschen Bahn AG genau richtig. Bis Stuttgart lief alles gut, aber danach war der IC nach Frankfurt zwischen anderen Zügen eingeklemmt. Gefühlte Stunden später kam er dann, das Fahrradabteil subtropisch, unsere reservierten Plätze standen eben wegen diesen Temperaturen nicht zur Verfügung. Aber es sollte noch dicker kommen. In Frankfurt wurden gleich gar keine Fahrräder mitgenommen.

Unsere Buchungen und Reservierungen futsch. Warum um Gottes Willen bucht man dann im Januar eine Reise,  die so nie stattfinden kann? Da steht man nachts um 23:00 Uhr,  keiner hilft,  keiner da, außer das Internet,  Retter in allen Lebenslagen.  Mit Regionalzügen nach Kassel, 3 Stunden schlafen auf Bänken (wie mit 18) dann Göttingen, Uelzen, Hamburg,  Kiel. Mit 4 Stunden Verspätung erreichen wir Kiel.

Ostholstein und Fehmarn

Nach einem kurzen Besuch bei einem alten Freund in der Nähe von Kiel geht es direkt nach Osten. Durch goldgelbe Getreidefelder strampeln wir gegen den stärker auffrischenden Ostwind an.

Nach ruhiger Nacht geht es weiter in Richtung Fehmarn.

Über die Fehmarnsundbrücke geht es neben der Hauptstraße auf super schmalem Radweg und mit kräftigem Seitenwind nach Norden. Uns lockt das Hofcafé in Albersdorf. Leckerer Kuchen und ein nettes Ambiente versüßen die Mittagspause.

An der Westküste von Fehmarn gibt es noch eine kleine Pause, bevor es auf einem Sandweg stramm gegen den Wind nach Puttgarden geht.

Lolland

Schon beim Abbau des Zeltes in Puttgarden rinnt der Schweiß. Beim Warten auf die Fähre werden wir fast geröstet.

Im dänischen Rødby entscheiden wir uns, zuerst nach Osten zu fahren und das Städtchen Nysted zu besuchen. Etwas genervt durch die Kriebelmücken, die an manchen Stellen zudringlich werden, erreichen wir zur Mittagszeit Nysted. Dieses hübsche Städtchen wird nicht umsonst als Märchenstadt beschrieben.

Im alten Ortskern stehen wie Perlen die bunten, windschiefen, kleinen Häuschen aneinandergereiht, passend dazu, die in sämtlichen Rottönen herrlich blühenden Stockrosen,  die so typisch sind für ganz Skandinavien.  Es ist sehr ruhig hier, beschaulich, kaum Touristen. Mittagspause im Schatten und zur vermeintlichen Abkühlung die Füße in die warme Ostsee getaucht und weiter geht’s bei knackigen 30 Grad, unzähligen Hektar Getreidefeldern nach Maribo.

Am frühen Morgen geht es auf den Ostseeküstenweg zurück nach Rødby nach Nakskov und nach kurzer Kaffeepause nach Tårs.

Direkt am Freizeithafen finden wir ein einsames Zeltplätzchen mit Blick auf die Autofähre, die uns frühmorgens nach Langeland bringen soll.

Allein die Fährfahrt sorgt nicht nur physisch sondern auch mental für Distanz zu allem, was man an Stress zulassen will. Alles geht eine Spur langsamer. Die Bodenseeschifffahrtkapitäne bekämen Schnappatmung ob dieser Ruhe bei der Beladung der Fähre.

Ærø

Vor der Überfahrt nach Ærøskøbing stärken wir uns in der netten Stadt Svendborg auf der Insel Fynen.

Ærøskøbing bietet mit seinem Kopfsteinplaster,  den Stockrosen und den kleinen, bunten und schiefen Häuschen mit vielen kleinen bemerkenswerten Details ein Bild reiner Idylle. Man darf aber trotzdem nicht vergessen,  daß sich hinter dieser Fassade eine gut funktionierende Stadt verbirgt.

Nach einem ausführlichen Stadtbummel fahren wir noch ans Ende der Insel nach Marstal. Ebenfalls ein beschauliches Städtchen, mit urigen Kneipen und pittoresken Badehäuschen in bunten und frischen Farben.

Leider zwingen uns ein aufziehendes Gewitter und Starkregen zum Rückzug.

Die Insel Als und an die Westküste Jütlands

Schweren Herzens aber bei gutem Wetter, verlassen wir die wunderschöne Ferieninsel Ærø, die übrigens ein ideales Urlaubsziel für Familien ist, am Hafen von Solby Richtung Insel Als.

Zu erwähnen ist die pulsierende Hafenstadt Sønderborg, zu der wir durch einen tollen, typisch skandinavischen Buchenwald mit Steilabbrüchen gelangen.

Nach einer Übernachtung in der Nähe von Padborg geht es quer durch Jütland in westliche Richtung in das Marschland. Die neue, gut ausgeschilderte Ostseerute gibt dabei die Richtung vor.

Tolle Städte sind Tønder mit seinen Puppenstubenhäusern nahezu alle mit Reetdächern und weniger Kilometer entfernt Møgeltønder mit Schloß Schackenborg. Die komplette Hauptstraße und der Ort bestehet nur aus dieser, steht unter Denkmalschutz. Einmalig schön! Eigentlich kann man unmöglich alle sehenswerten Häuser beschreiben, die Auswahl wäre zu schwer. Wie sie so dastehen, im Getreidefeld, hinter dem Deich, in der Ortsmitte, am Waldrand,  wie aus dem Bilderbuch gefallen! Backstein oder weiß getüncht, Fenster mit grünen oder roten Rahmen  und dann natürlich das Reetdach, das mächtige Dach,  das dem Regen und den Stürmen seit Jahrzehnten standgehalten hat. Er gibt einige zu verkaufen! Interesse?

Noch ein Städtchen sollte nicht unerwähnt bleiben: die Wurststadt Højer.  Ebenfalls putzig. Unser Interesse galt weniger der Wurst als dem superschönen Mühlen Café und seinem grandiosen Fliesenboden und der stylischen Einrichtung.

Kurz vor Ribe, wir haben die Nordseeküste erreicht, finden wir ein ruhiges Zeltplätzchen bei einem ehemaligen Bauernhof,  typisch dänisch und hyggelig hergerichtet.

Ribe, sehr sehenswert, auch hier, tolle Backsteinhäuser (eigentlich..le), die Häuser sind allesamt klein und schnuggelig. Originelle Tante Emma Läden, detailverliebte Cafés und dazwischen tiefenentspannte Dänen.

Stramm am Wind, entlang der Dünen von Esbjerg bis Skagen

Vor Esbjerg geht es durch die Marschlandschaft mit den typischen Strukturen. Deiche, Wiesen und Felder, Entwässerungsgräben. Mehrmals täglich verfolgen uns kräftige Gewitter und Schauer.

Auch wenn die Küste mit vielen Ferienhaussiedlungen gespickt zu sein scheint, gibt es immer (noch) viele einsame Abschnitte am Strand und im Hinterland.

An einigen Stellen droht durch die Dünen die Straße zu versanden.

In Thyborøn verzierte ein Fischer das Haus seiner Liebsten mit tausenden Muscheln aus aller Welt.

In Vorupør werden die Fischerboote noch heute mit einer Seilwinde an den Strand gezogen.

An einigen Stellen geht die Radroute über den Strand. Für uns unfahrbar.

Ganze 47 Meter hoch ist der Bulbjerg. Grandiose Aussicht.

Am Rubjerg Knude ist der Leuchturm von der Versandung bedroht. Da der Sand immer weiter nach Osten treibt, droht der Turm ins Meer zu stürzen. Ende August 2019 wurde die Touristenattraktion daher auf Rollen rund 100 Meter in das Landesinnere versetzt.

Von der deutschen Grenze bis nach Skagen sind es auf dem Nordseeküstenradweg (in Dänemark auch Vestkystruten genannt) rund 560 Kilometer nach Skagen.

Skagen ist eine Welt für sich. Sehr touristisch, aber vor allem durch den Sand und die Windverhältnisse geprägt.

Die versandete Kirche St. Laurentius aus dem 14.Jahrhundert. Die Kirche wurde immer wieder vom feinen Sand zugeweht, so dass die Gottesdienstbesucher ihren Weg freischaufeln mußten. Im 19. Jahrhundert wurde die sie abgerissen und der Turm als Mahnmal für die Nachwelt stehen gelassen.

Råbjerg Mile – die größte Wanderdüne Dänemarks. Sie „marschiert“ jährlich 15 bis 20 Meter.

Ein Muss ist die Stadt Skagen.  Bekannt durch die s.g.“Skagen Maler“, die durch die trostlose und raue Atmosphäre,  aber auch durch das Zusammenspiel von Licht,  Wasser und Wind im 19. Jahrhundert angelockt wurden. Aber auch viele Dichter kamen hierher und prägten die Stadt,  wo sämtliche Häuser in der gleichen Farbe angestrichen sind.

Von Skagen nach Aarhus

Kattegatt und Skagerak und damit Nord- und Ostsee „treffen“ sich in der Nähe von Skagen. Damit verbunden ist ein Wechsel in der Küstenlandschaft. Die Dünenlandschaft Westjütlands bleibt zurück, mehr und mehr wird die Küste zu einer typischen Ostseeküste – etwas weniger rau im Vergleich zum Westen. Ja, und wo wir gerade beim Thema sind, wer in Dänemark radelt,  der sollte sich auf wechselhaftes Wetter einstellen. Gute Regenbekleidung ist ein Muss.

Im gemütlichen Hafen von Ålbeck.

Gelegentlich verkaufen die Bauern der Umgebung frisches Gemüse am Straßenrand.

Ja, und hier stehen sie alle, unsere geliebten „Nordmanns Tannen“, ohne die wir uns keine Weihnachten vorstellen können. Fix und fertig,  schon mit Etikett, gerade gewachsen, makellos.

Der Weg führt immer der Küste entlang. Immer wieder werden wir von Starkregen und Gewittern durchgeschüttelt. Ist das noch Urlaub oder gehört das zu dem Wettkampf „Nur die Harten kommen … „. Wir erreichen am späten Nachmittag Aarhus, die wichtigste Stadt Jütland, die sich gerne als kleinste Großstadt der Welt bezeichnet.

In Aarhus ist der Sitz des Windkraftanlagenbauers VESTAS und anderer High-Tech Firmen. Daneben sind über 50.000 Studenten an den verschiedenen Hochschulen eingeschrieben. Demzufolge sausen viele bunte junge Menschen mit ihren ebenso vielfältigen Fahrrädern durch die Innenstadt. Zu erwähnen ist noch, dass Aarhus 2017 europäische Kulturhauptstadt war.

Kunstmuseum Aarhus – oben das begehbare Regenbogenpanorama.

Grüne Oase – Projekt für eine noch grüneres Aarhus.

Sjaeland und Kopenhagen

Von Aarhus sausen wir mit der Schnellfähre in weniger als zwei Stunden über den großen Belt zur Sjaelands Odde, einer Landzunge ganz im Westen der Insel. Mit kräftigem Rückenwind genießen wir eine aussichts- und abwechslungsreiche Fahrt nach Hillerrød.

Schloss Frederiksborg ist der große Anziehungspunkt dieser Stadt. Und in der Tat ist diese mächtige Anlage sehr imponierend. Ist sie doch das Beispiel für die nordische Renaissance. Nördlich des Schlosses erstrecken sich wunderbare Gartenanlagen mit Kaskaden und Springbrunnen, die in der Abendsonne toll zur Geltung kommen.

Viele, leider nicht alle, Campingplätze in Dänemark sind sehr gepflegt und sauber, aber dieser hier in Hillerød ist ein wahres Schmuckstück. Ein Blick in die Campingküche und auf den Essplatz im Freien mit der dazu gehörenden Kräuterecke.

Nur 30 km später, auf gut ausgebauten Radwegen, neben der Hauptstrasse und trotz dem entspannt, geht es weiter. Ja, und da sind wir nun. In der Fahrradhauptstadt Europas – in Kopenhagen. Grüne Welle für Radfahrer:

Den Nyhavn verbindet wohl jeder mit Kopenhagen. Was früher noch ein ruhiger, wenig besuchter Ort mit alten Fischerkneipen, Spelunken und Tätowierungslokalen (so hießen sie früher) am 500 m langen Kanal war, ist heute fest in der Hand von hippen Bars und teuren Cafes in gelb, blau, ocker oder pink. Das einzige was blieb, sind die alten Segelboote, die im Wasser dümpeln und gerne von ihren Besitzern zur Schau gestellt werden.

Stolz ist man natürlich auf die architektonisch aufwendige Oper.

Wie lächerlich und kleingeistig erscheinen uns die Diskussionen bei uns im Land, wenn es um den Ausbau von Radwegen und die Verkehrssicherheit geht. Geht nicht – gibt’s wohl nicht. Die Kopenhagener führen uns mit einer Selbstverständlichkeit vor, wie Radverkehr in einer Großstadt funktioniert. Und das noch stressfrei, wohlgemerkt. Ob Mann im schwarzen Zwirn, Frau in High Heels, Mama und Papa mit Lastenrad, Alt, Jung, alle gondeln fast gemütlich durch die pulsierende Innenstadt. Kaum zu glauben, man muss es erlebt haben. Und noch was: Autofahrer stehen an dritter Stelle, noch hinter den Fußgängern. Das sollte doch mal Ansporn für unser Land sein. Hupen und Klingeln kennen weder die Kopenhagener, noch die Dänen im Allgemeinen kaum.

Møn und Falster

Dänemark besitzt wirklich viele schöne Inseln und jede ist auf ihre Art reizvoll,  aber diese Bandbreite an kulturellen und natürlichen Sehenswürdigkeiten die Møn  im Verhältnis zu ihrer Größe aufweist, ist etwas ganz besonderes.  Zu erwähnen sind die vielen Hünengräber, die noch gut erhalten sind, ebenso die schönen weißen Landkirchen, die schon von weit her sichtbar im gelben Getreidefeld leuchten. Im Innern befinden sich bunt gemalte Kalkmalereien zum Teil aus dem 13. Jahrhundert.

Den Hauptort der Insel, Stege, passiert man auf dem Weg zu den berühmten Kreidefelsen. Hier gibt es noch die Möglichkeit zum Einkauf. Sehenswert sind  alte Häuser  aus dem Mittelalter und der Mølleporten.

Jährlich kommen rund 200.000 Besucher, um die bis zu 128 Meter hohen Kreidefelsen anzusehen, und wer sie noch sehen will, muss sich beeilen. Immer wieder gibt es starke Felsabbrüche, denn Wind und Wetter,  Hitze und Frost, Wellen und Strömungen nagen und modellieren dieses imposante, weiß leuchtende Naturwunder.

Wir hatten Glück mit dem Wetter und konnten noch trocken das Zelt am nächsten Morgen abbauen, aber schon kurze Zeit später wurden wir von dicken grauen Regenwolken eingekesselt und es sollte bis zum Abend nass blieben.

Kurzer Einkaufsstopp in Nykøping F, für Falster. Gleichzeitig unsere letzte dänische Insel. An ihrem südlichen Ende liegt die Hafenstadt Gedser, von der wir am nächsten Morgen von der Fähre nach Rostock mitgenommen wurden.

Hej, hej Dänemark.  Schön und überraschend vielfältig war es. Und tatsächlich,  wir sind ein bisschen hyggelig geworden und hoffen, wir können eure Gelassenheit mit nach Hause nehmen!

Dänemark,  alles hygge? Wir waren sehr skeptisch, aber in der Tat konnten wir in den drei Wochen Dänemark dieses Land und seine Bewohner intensiv erleben. Und feststellen,  die Skandinavier sind doch sehr unterschiedlich.

Die Dänen verstehen es, eine wohlige Stimmung zu verbreiten.  Einfach so, ohne großes Bimbamborium. Diese Eigenschaft haben die gemütlichkeitsliebenden Dänen geradezu kultiviert. Das kann eine besondere Stimmung in einem der hellen freundlichen Cafés sein, oder wenn man an einem Sommertag  auf einer Bank sitzt und den Leuten zuschaut, selbst beim Einkaufen im Supermarkt oder wenn man mit dem Fahrrad durch Kopenhagen radelt. Alles ist stressfrei und unaufgeregt. Und dann natürlich ihre Liebe zum Fahrrad. Wie sie das Fahrradfahren zelebieren, einfach toll! Vielleicht  haben sie dieses Gen schon mit der Muttermilch aufgesogen. Wir können uns eine, nein, mindestens zwei Scheiben Dänemark abschneiden!

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