Meine erste Skitour im Fjäll

Unsere Gastautorin Johanna Selbert berichtet über die Eindrücke von ihrer ersten Fjällskitour. Zusammen mit den geübten Skiwanderen Helmut Gnädig, Felix und Andreas Schulte geht die Tour von Höglekardalen über das Anarisfjäll, durch den Naturpark Vålådalen und das Hållfjäll nach Edsåsdålen im schwedischen Jämtland.

Ich wusste, es wird hart und kalt. Aber dass es so heftig wird, konnte ich nicht ahnen. Vorab: Ich liebe Abenteuer und die gewisse Unsicherheit. Ich stürze mich gern in kaltes Wasser, hege im Vorhinein nicht die allergrößten Erwartungen und werde dadurch im Nachgang eigentlich immer positiv überrascht. Hier fällt mein nachträgliches Urteil differenzierter und zaghafter aus. Es war mit Abstand das Verrückteste, was ich bisher gemacht habe.

Ich komme aus dem Alpin-Skilauf, wobei ich die letzten dutzend Jahre Snowboard gefahren bin. Auf Langlauf- oder Tourenski stand ich noch nie. Ich hatte das Glück, mir die Ausrüstung in weiten Teilen ausleihen zu können oder bekam sie sogar geschenkt. An dieser Stelle noch einmal meinen größten Dank! Ein paar Mal üben, um ein „Gefühl“ für die Skier zu bekommen und dann ging es schon los.

Im Kalfjäll zwischen Höglekardalen und Hosjöbottarna.
Hosjövallen – sobald die Sonne verschwindet, wird es deutlich kälter.

Tag 1 war herrlich. Wir hatten tolles Wetter und Sonnenschein. Die Anstrengung war moderat und die erste Nacht: unfassbar kalt! Woher sollte ich auch wissen, wie sich -25 Grad Celsius anfühlen? Mir wurde immer gesagt, es sei eine andere Kälte. Das stimmt. Aber der Körper muss ständig gegen diese Kälte ankämpfen. Das raubt einem Atem und sehr sehr viel Energie. Mein Kreislauf musste sich erst daran gewöhnen. Teilweise überkam mich die Kälte wie Wellen durch den ganzen Körper. Zum Glück macht einem die Kälte während des Laufens keine Probleme. Da heizt der Körper automatisch gut hoch.

Tag 2 und die erste Hälfte von Tag 3 waren für mich die Hölle. Es war grau und sehr windig. Der Wind peitschte immer von einer Seite, der man sich ständig entgegen lehnen musste. Mit einem aufrechten Gang hatte das nicht mehr viel zu tun. Allein die Angriffsfläche mit großem Rucksack war enorm. Ohne feste Bindung, den verhältnismäßig langen Ski und den 14 Kilo auf meinem Rücken hat es mich unzählige Male umgehauen. Man läuft wie auf rohen Eiern. Die Hände verkrampften sich um die Stöcke. Nach dem fünften Mal aufstehen, hatte ich keine Kraft mehr, alleine mit Rucksack hochzukommen. Der Schnee war teilweise hüfttief. Dann hieß

Der Wind pfeift von der Seite, die Schneedrift erschwert die Sicht.

es, sich helfen lassen oder Rucksack aus, neu in die Skier rein und weiter geht’s. Wir überquerten den zweiten See, wie gesagt, mit ordentlicher Schlagseite. Der Boden war „harschig“. Ich lasse da gern den ersten Buchstaben weg. Eisig, uneben, rutschig, hart und dann zwischendurch doch wieder Pulverschnee. Die Oberfläche erinnerte mich an eine Dünenlandschaft. Die vereisten Verwehungen war so anspruchsvoll, dass ich bei jedem Schritt aufpassen musste, nicht wegzurutschen, umzuknicken oder (wegen des Windes) umzufallen. An dem Tag kam ich absolut an meine körperlichen Grenzen. Tränen der Überforderung flossen. Als dann in der Anarishütte zu wenig Holz vorhanden war und wir die Hütte nur stundenweise von -10 auf 0 Grad Celsius „hoch heizen“ konnten, dachte ich, das ist doch alles ein schlechter Scherz.

Anarisstugan – eine der kleinsten Hütte des schwedischen Touristenverbandes im Fjäll.

Der nächste Vormittag sollte noch größere Herausforderungen bereit halten. Bei unverändertem Wetter ging es bergauf zum höchsten Punkt unserer Tour und dann, oben angekommen, als „schwarze Piste“ wieder bergab. Kein Unterschlupf, keine windstille Ecke.

Auf dem höchsten Punkt der Tour, ein namenloser Pass im Anarisfjäll.

Es konnte nur weitergehen. Große Eisplatten erschwerten die Abfahrt. Und wie bitte geht langes Pflugfahren mit diesen Ski?! Die Haltung ist eine ganz andere als mit Alpin-Ski. Meine Beine waren übersät mit blauen Flecken, meine Knie und meine Fußinnenseiten schmerzten, meine Finger schwollen an – vermutlich durch das Verkrampfen und die Kälte. Meine Nase erlitt Gefrierbrand. Im untersten Drittel habe ich die Ski ausgezogen und bin den Rest gelaufen. Die einzig richtige Entscheidung.

Schwierige Abfahrt auf Eisplatten.

Am Fuße des Berges kam uns ein schwedischer Tourengänger entgegen – der einzige auf der gesamten Tour. Er machte gar keine Anstalten, den Berg mit Skiern hochzulaufen. Merke: nächstes Mal rechtzeitig abschnallen. Als wir noch kurz auf die anderen warteten, entstand mein Motto: wer stehen bleibt, erfriert. Da machte das Wissen die Situation nicht einfacher, dass in den 70ern genau an dieser Stelle eine Gruppe Tourengänger erfroren ist. (Anarisunglück, sehr bekannt in Schweden, führte zur Gründung des schwedischen Fjällsäkerhetsrådet).

Irgendwann waren wir unten. In einer alten Schutzhütte konnten wir uns mit Kaffee und Schoklade stärken.

In den nächsten Stunden konnte ich erahnen, welche Schönheit wirklich im Fjäll steckt.

Im Hintergrund der Berg Stor Gröngumpen

Abends überfällt uns fast Panik: Unsere Kocher haben fast zeitgleich angefangen zu brennen und wir haben beinahe die Zelte abgefackelt. Obwohl es sich um spezielle Winterkocher handelt und die Kartuschen richtig angeschlossen waren, trat Gas neben dem Ventil aus und entzündete sich. Doch Glück gehabt, wir konnten die Feuer löschen.

Im Issjödalen

Schluss mit den Schauergeschichten. Ab dann wurde es gut! Es folgten ruhigere und aushaltbarere Tage. Ich wusste nun, dass ich es gut schaffen würde. Die Witterungs- und Schneebedingungen sowie meine Fahrkünste wurden besser, tagsüber wurde es wärmer. Ich konnte mich endlich nicht nur auf mich und die Anstrengung konzentrieren, sondern nahm die Landschaft wahr. Es folgten wunderschöne Abschnitte im Fjäll und Passagen, die mich an das typische schwedische Trollenland erinnerten. Die von den kargen Bäumen hängenden Flechten, die aussahen wie das Haar der kleinen Waldgeister. Sanfte Hügel und Wälder, die eine wunderbare Ruhe ausstrahlten. Am beeindruckendsten empfand ich das Licht am Morgen und am Abend beim Zeltaufbau bzw. Zeltabbau. Nirgends habe ich so klare, intensive Farben gesehen.

Abendstimmung im Vålådalen
Nach einer kalten Nacht zeigt sich die Sonne bei Vallbo.
Überquerung des Ottsjö.
Morgenstimmung im Hållfjäll.
Parkähnliche Landschaft bei den Offsjön
Kurz vor Edsåsdalen

Würde ich es nochmal machen? Anfangs der Tour dachte ich noch: ihr seid doch alle verrückt, inklusive mir. Nach der ersten heißen Dusche in der Zivilisation hieß die Antwort schon ja. Vielleicht nicht volle sechs Tage, vielleicht nicht nur im Zelt, vielleicht mit einem Pausentag. Aber es sind Erfahrungen, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst. Es war mein bis dato größtes Abenteuer. Nie habe ich die Natur so erbarmungslos und unmittelbar und schön erlebt. Nie habe ich meinen Körper einer solchen Grenzerfahrung ausgesetzt. Und das Gefühl in meinem immer noch tauben Zeh, kommt hoffentlich auch wieder zurück

Unsere Tour im Überblick:

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Eine Antwort

  1. Avatar von Aenne
    Aenne

    Mega Geschichte, liebe Johanna! Gerne mehr davon. 🙂

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